Rede des Präsidenten der Republik Aserbaidschan Heydar Aliyev auf der Pressekonferenz nach dem Treffen mit einer Delegation des Europarates - Präsidentenpalast, Baku, den 13. Juli 1996


Sehr geehrte Pressevertreter,

wir haben uns mit Ihnen jetzt schon getroffen, weil Sie am Beginn des Treffens mit der Delegation des Europarats in Aserbaidschan teilgenommen haben. Deshalb gibt es keine Notwendigkeit, eine besondere Erklärung zu geben. Ich kann nur kurz sagen, dass der Besuch einer großen Delegation des Europarates, nachdem unsere Republik den Gaststatus dieser Organisation erhalten hat, auf den Beginn unserer Zusammenarbeit  hinweist. 

Ich will meine Zufriedenheit mit unserem heutigen Treffen und auch mit unseren Verhandlungen äußern.   Ich nehme an, dass wir darin übereinstimmen. Wir kennen unsere Aufgaben, um ein vollberechtigtes Mitglied des Europarates zu werden, sehr gut. Ich versichere die Delegation des Europarates, dass sich Aserbaidschan anstrengen wird durch seine Leistungen die vollberechtigte Mitgliedschaft zu erwerben. Ich bin sicher, dass wir es erreichen werden.

Ich erteile das Wort den Leitern der Delegation und bin bereit, Ihre Fragen zu beantworten. 

Frage: Ich habe eine Frage an den Herrn Generalsekretär. Herr Generalsekretär, die Republik Armenien ist eine der Republiken, die sich offiziell um die vollberechtigte Mitgliedschaft im Europarat beworben hat. In den Erklärungen und im Program des Europarats stehen die Achtung der Menschenrechte und der Schutz  der kulturellen Werte an der ersten Stelle. Mehr als 2000 aserbaidschanische Bürger sind in verschiedenen Gebieten Armeniens in Gefangenschaft, sie werden gefoltert. Die kulturellen Denkmäler Aserbaidschans sind von den Truppen Armeniens völlig zerstört worden, fast eine Million Flüchtlinge leben unter schweren Bedingungen. Wird auf diese Punkte beim Beitritt Armeniens in den Europarat Rücksicht genommen?

Antwort: Ich bin sicher, dass dieser Konflikt von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats berücksichtigt wird. Er ist nicht zu übersehen. Ich will erklären, dass die Entscheidung für den Beitritt der Länder zum Europarat in der Parlamentarischen Versammlung getroffen wird. Die Parlamentarische Versammlung  des Europarats ist gegen die Verletzung der Menschenrechte, wo es auch sei. Zweifellos sind in Europa  auf  solche tragischen Fälle gestoßen, bestimmte Gebiete wurden besetzt und blieben unter Besatzung.  Es gibt auch in Europa eine große Anzahl von Flüchtlingen. Der Europarat hat Sonderausschüsse, die sich mit den Angelegenheiten der Flüchtlinge beschäftigen. 

Ich zweifle nicht daran, dass die erwähnten Fragen bei der Behandlung der Gesuche sowohl Aserbaidschans, als auch Armeniens für den Beitritt zum Europarat als vollberechtigte Mitglieder nicht außer Acht gelassen werden. 

Frage: Herr Präsident, wie stellen Sie sich die Lösung des Berg-Karabach-Konfliktes vor? 

Heydar Aliyev: Der Lösungsweg dieses Konfliktes ist sehr präzis und klar. Wir haben es mehrmals gesagt. Es geht darum, dass sich die armenischen Streitkräfte von den 20% der aserbaidschanischen Gebiete, d.h. unseren von ihnen besetzten Gebieten zurückziehen müssen und mehr als eine Million aserbaidschanischer Bürger, die gewaltsam vertrieben wurden, in ihre Heimatorte zurückkehren können. Gleichzeitig  muss die territoriale Integrität unseres Landes, seine international anerkannte Grenzhoheit gewährleistet werden. Dabei ist die Sicherheit der armenischen Bevölkerung Berg-Karabachs zu gewährleisten, Berg-Karabach höchster Autonomiestatus im Rahmen des aserbaidschanischen Staates, der zurzeit in der Welt praktiziert wird, zuzubilligen Dies sind deutliche und gerechte Voraussetzungen. Das schlagen wir vor.

Wenn die armenische Seite auf diesen Vorschlag eingehen könnte, dann wäre die Frage schon erledigt. Leider versucht die armenische Seite Aserbaidschan unter Druck zu setzen, da sie einige Privilegien im Zusammenhang mit der Besetzung der aserbaidschanischen Gebiete hat. Sie benutzt diese Gelegenheit und versucht für Berg-Karabach den Status der Staatssouveränität zu erhalten. Wir können das natürlich nicht zulassen. Wir können nicht erlauben, einen Teil des aserbaidschanischen Territoriums gewaltsam zu besetzen. Die internationalen Rechtsnormen erlauben so etwas auch nicht. Die Anerkennung der territorialen Integrität jedes Staates ist eine von allen internationalen Organisationen akzeptierte Rechtsnorm. Wir sind sowohl in unserem Land als auch in Bezug auf andere Länder diesen Prinzipien treu ergeben. Die Lösung der Frage hängt von der armenischen Seite ab. 

Frage: Meine Frage ist an den Vorsitzenden des Ministerkomitees des Europarates gerichtet. Der aserbaidschanische Präsident hat oftmals betont, dass die Schwierigkeiten der Übergangsperiode und der Angriff Armeniens so eine Situation in Aserbaidschan haben entstehen lassen, dass unser Land nicht imstande sei dieses Problem selbständig, ohne Hilfe der internationalen Organisationen zu lösen. Welchen Beitrag kann der Europarat zur Regelung dieser Probleme unseres Landes leisten? 

Siim Kallas: Wie Sie wissen, ist der Europarat eine von den internationalen Organisationen, die die politische Atmosphäre in der Welt prägen.  Jede von diesen internationalen Organisationen hat ihre spezifischen Eigenschaften. Die Aufgabe des Europarats ist die Entwicklung der Demokratie, der Schutz der Menschenrechte und die Bildung der sich dynamisch und demokratisch entwickelnden Staaten in den Ländern.  In dieser Hinsicht bildet die Förderung der Demokratie, die Ausbildung der rechtlichen Basis für den Schutz der Menschenrechte den wichtigsten Bereich in der Zusammenarbeit des Europarats mit diesen Ländern. 

Ich will Sie davon in Kenntnis setzen, dass unsere Erfahrungen in der Zeit der Zusammenarbeit Estlands mit dem Europarat sehr produktiv waren. Als Antwort auf Ihre Frage möchte ich Ihnen mitteilen, dass der Europarat sowohl seinen Mitgliedsstaaten als auch den Ländern, die Mitglied werden wollen, eine breite Kooperation anbietet, und sie in den Bereichen, die ich betont habe, unterstützt. 

Was die Konflikte zwischen den Staaten betrifft, ziehen wir es vor, dass diese Fragen  von anderen Organisationen der Welt gelöst werden. Zum Bespiel, schätzen wir die Rolle der OSZE bei der Lösung dieses Konflikts und unterstützen immer den Minsker Prozeß. Der Europarat kann die Informationen in Bezug auf die Lösungswege der Probleme den Institutionen für die Autonomiebestrebungen, die in verschiedenen Ländern der Welt gegründet wurden, diesen Ländern übermitteln.

Heute wurde auf zahlreichen Treffen auch die Frage über den Beitrag und die Hilfe des Europarats besprochen. Wenn Aserbaidschan einen Wunsch äußert, diese Erfahrungen zu nutzen, wird der Europarat Ihrem Land mit Vergnügen helfen.

Frage: Herr Präsident, der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien ist vor einem Jahr beendet worden. Wie wirkt sich das auf das wirtschaftliche Leben Ihres Landes aus? 

Heydar Aliyev: Der Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien ist noch nicht beendet. Er wurde vor 2 Jahren nur unterbrochen. Im Mai 1994 haben wir ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, aber momentan gibt es keinen endgültigen Frieden. Innerhalb dieser zwei Jahre versuchten wir die Möglichkeiten des Minsker Prozesses der OSZE zu nutzen und den Konflikt auf friedlichem Wege zu lösen. Ohne Zweifel hat sich der Waffenstillstand sowohl auf das Leben in Aserbaidschan als auch in Armenien – das muss ich auch betonen - günstig ausgewirkt.

Wenn es keinen Krieg, d.h. keine Kriegsoperationen und kein Blutvergießen gibt, leben die Menschen natürlich in Ruhe. Das Volk, die Gesellschaft und der Staat bekommen die Möglichkeit, sich mehr mit den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der Gesellschaft zu beschäftigen. Wir haben diese Möglichkeit aktiv genutzt und nutzen sie weiter. Wir konnten nämlich in dieser Periode Gesetze erlassen und mit der Durchführung von Wirtschaftsreformen, der Durchsetzung eines großen Wirtschaftsprogramms und den Agrarreformen beginnen. Gerade unter solchen Bedingungen konnten wir die erste demokratische Verfassung Aserbaidschans vorbereiten und annehmen und demokratische Wahlen für das aserbaidschanische Parlament abhalten. Wir konnten einige negative Momente, die das politische Leben in unserem Land erschwerten, beseitigen. Leider ist in Aserbaidschan im Unterschied zu anderen europäischen Ländern und ebenfalls zu Estland, außer dem Militärkonflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien auch die innenpolitische Lage jahrelang kompliziert geblieben.  Das war mit der Konfrontation der verschiedenen bewaffneten Gruppen, die um die Macht kämpften, verbunden. Neben dem Krieg mit Armenien hat in Aserbaidschan im Sommer 1993 ein Bürgerkrieg begonnen.  Wir konnten das beseitigen. Dabei hat uns der Waffenstillstand sehr geholfen.

Die ausländischen Investoren begannen großes Interesse an Aserbaidschan zu zeigen und mit uns zusammenzuarbeiten. Wir haben große Verträge über die Erdölförderung in Aserbaidschan mit riesigen Erdölgesellschaften Europas und der USA abgeschlossen. D.h., das Ende der Kriegsoperationen und die Stabilität der gesellschaftlichen Lage in Aserbaidschan bringen Kapitalanlagen in unser Land. Aserbaidschan – ein Land mit vielen Bodenschätzen, großem wirtschaftlichen und intellektuellen Potenzial – zieht die Aufmerksamkeit vieler Länder auf sich und wir streben sehr aktiv diese Zusammenarbeit mit ihnen an. Das alles ist mit der Situation nach dem Waffenstillstand verbunden. Aber wir versuchen freundschaftliche nachbarliche Beziehungen zu Armenien und Frieden in der ganzen Kaukasus-Region zu erreichen. 

Frage: Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Generalsekretär, ich habe eine Frage an Sie. Herr Generalsekretär, auf dem Treffen wurde die Vorstellung „von einer großen Familie der europäischen Länder” geäußert. Sie werden nach Aserbaidschan einen Besuch in Georgien und in Armenien, die dieser Familie beitreten wollen, abstatten. Natürlich möchte niemand, dass seine Familienangehörigen streiten oder Krieg führen. Welche konkreten Schritte könnten Sie unternehmen, damit diese Familienangehörigen im Laufe der Aufstellung ihrer Kandidatur für den Europarat nicht in Streit geraten und keinen Krieg führen?

Heydar Aliyev: Aserbaidschan wird seine friedliche Politik  weiterführen und wird versuchen, dass der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien überwunden und in unserer Region völliger Frieden hergestellt wird.

Daniel Tarshys: Der Europarat trifft bestimmte Maßnahmen, um Europa zu entspannen. Wir wollen die Mitgliedsstaaten des Europarats  und alle Staaten des Europas davon überzeugen, dass die Staaten, in denen es politischen  Pluralismus, Demokratie und Schutz der Menschenrechte gibt, sich entwickeln und blühen und mehr Stabilität haben als undemokratische Staaten mit einer Diktatur. Die Entwicklung der Staaten, in denen die Gesetze eingehalten werden, ist unumstritten.

Darüber hinaus arbeiten wir noch an gemeinsamen Wertvorstellungen. Alle Mitgliedsstaaten Europarats müssen diese Werte akzeptieren und dieselben Verpflichtungen erfüllen. Wir tun unser Bestes, damit Folterung, Ausländerfeindlichkeit und Hass bewältigt werden. Dafür nutzen wir zur Zeit in Europa die aktive Jugendbewegung.

Wir fordern die europäischen Länder dazu auf, dass sie aus der Geschichte von einander lernen.

Wir arbeiten im Rahmen der Bearbeitung der Geschichtslehrbücher zusammen, um sie von jeder Ideologie und Chauvinismus zu befreien. Wir haben Vorschläge, die die Rechte der Minderheiten schützen. Wir beantragen solche Mechanismen, die zur Erweiterung einer durchsichtigen und klaren Zusammenarbeit zwischen den Ländern führt und Wege dafür weist.Wir bekennen uns zu der Idee, dass es keinen Bedarf für Grenzveränderungen in Europa gibt, man muss diese Grenzen öffnen und die Zusammenarbeit zwischen den Nationen vertiefen. Millionen Menschen leiden unter den Konflikten, die infolge der Grenzveränderungen entstanden waren und in schwierige Situationen geraten sind. Unser Ziel ist, auf dem europäischen Kontinent eine Atmosphäre zu schaffen, damit sich die Länder und Völker als eine Familie fühlen können.

Alles, was ich bis jetzt gesagt habe, sind Möglichkeiten, die die Konflikte bei ihrer Entstehung abwenden können. Ich muss noch zufügen, dass die Lösungstechniken und Regelungen von Konflikten dieser Art uns bekannt sind. Diese Aufgaben realisiert insbesondere die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PVER).

Auf die Worte des Vorsitzenden zurückkommend, will ich auch bestätigen, dass wir es bevorzugen, die Regelung derartiger Konflikte anderen Organisationen in der Welt, besonders der OSZE, zu überlassen.

Frage: Meine Frage ist an Herrn Präsident Heydar Aliyev gerichtet. Die letzten Parlamentswahlen in Aserbaidschan wurden kritisiert. Welche Maßnahmen wollen Sie treffen? Was planen Sie für die künftigen Parlamentswahlen, damit sie richtig durchgeführt werden? 

Heydar Aliyev: Ich bin mit Ihrer Meinung nicht einverstanden. Ich glaube nicht, dass die Parlamentswahlen in Aserbaidschan nicht frei und fair waren. Sie waren ganz frei und fair. Diese Wahlen sind auf der Basis des Mehrparteiensystems, bei transparentem und politischem Pluralismus durchgeführt worden. Alle Kandidaten haben in allen Kreisen alle Informationseinrichtungen, ebenfalls Radio und Fernsehen frei genutzt.

In Aserbaidschan sind mehr als 30 Parteien angemeldet und tätig, mehr als 500 Zeitungen werden gedruckt. In Aserbaidschan werden zahlreiche Zeitungen von der Opposition herausgegeben und vertrieben. Jeder Mensch in unserem Land hat eine Möglichkeit, seine Meinung zu äußern, wie er will. Und das alles hat sich  in Parlamentswahlen widergespiegelt.

Im derzeitigen Parlament Aserbaidschans sind acht Parteien vertreten. Im aserbaidschanischen Parlament gibt es auch die Vertreter der oppositionellen Parteien. Das alles macht die demokratische Durchführung der Parlamentswahlen  im souveränen Aserbaidschan deutlich. Sie müssen berücksichtigen, dass nach dem Erlangen der Unabhängigkeit Aserbaidschans die Staatsmacht dreimal geändert worden ist. Ich habe schon betont, dass im Sommer 1993 ein Bürgerkrieg in Aserbaidschan begann. Es gab bewaffnete Verbände der einzelnen oppositionellen Parteien. In den Jahren 1994-1995 fand ein Versuch statt, mit Gewalt an die Macht zu kommen, es kam zu einigen Terrorakten, gegen das Staatsoberhaupt wurde ein Anschlag durchgeführt und das alles haben wir überwunden.

Unter solchen Umständen wurde in Aserbaidschan in den letzten Zeiten, 1995 und auch 1996 die innere politische Stabilität wiederhergestellt.

Wenn Sie Vor 2 Jahren nach Baku gekommen wären, hätten Sie auf den Straßen sehr verschiedene illegale bewaffnete Gruppen sehen können. Einige von ihnen gehörten leider zu den Parteien und Gruppen, die sich Opposition nannten. Die Befreiung Aserbaidschans von diesen verbrecherischen Gruppen in so einer kurzer Zeit, die Sicherung eines freien  Lebens der Menschen und die freie Durchführung der Parlamentswahlen beweist, dass in Aserbaidschan die Demokratie hergestellt worden ist.

Deshalb bezeichne ich die Parlamentswahlen in Aserbaidschan als erste Schritte in Richtung Demokratie und ich bin sicher, dass diese demokratischen Prozesse sich von Jahr zu Jahr weiterentwickeln und die nächsten Wahlen zum Parlament noch demokratischer ablaufen werden. 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! 

"Heydar Aliyev: Unsere Unabhängigkeit ist ewig" (Beiträge, Reden, Erklärungen, Interviews, Briefe,  Anreden, Erlasse) - Aserneschr, Baku - 1998, S.98-104.

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