Interview des Journalisten der Zeitschrift "Economest" mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Heydar Aliyev - London, den 1. Dezember 1995

Frage: Wie reich, Ihrer Meinung nach, kann Aserbaidschan werden, nachdem das angefangen hat, seine Erdölressourcen zu exportieren? Wird Aserbaidschan zu einem Staat wie Kuwait werden?

Antwort: Zweifelsohne kann Aserbaidschan zu einem reichen Land werden, wenn alle seine Erdölvorräte sorgfältig ausgebeutet und ihre Ausfuhr effizient organisiert werden. Kuwait ist zwar Kuwait, Aserbaidschan ist aber Aserbaidschan. Warum sollte man versuchen, Kuwait zu ähneln? Vielleicht werden wir in der Zukunft in solch einer Situation leben, dass andere Länder Aserbaidschan nachahmen werden?

Frage: Ich bin damit einverstanden, dass Aserbaidschan dank einer effizienten Erdölausbeutung und -ausfuhr zu einem reichen Land werden kann. Aber warum ist das bis heute nicht der Fall?

Antwort: Es ist Ihnen bewusst, dass Aserbaidschan bisher schon große Menge an Erdöl produziert hat. Aserbaidschan ist der erste Staat in aller Welt, der das Öl industriell gefördert hat. Sie haben betont, dass Sie sich mit diesem Bereich befassen. Ich glaube, es wäre Ihnen sehr interessant, zu wissen, dass die erste Erdölfontäne in Aserbaidschan 1848 ausbrach. Damals wurde in keinem Land der Welt Erdöl gefördert. Die erste Erdölfontäne in den USA hat sich nur 1858 im Staat Pensilwanien ereignet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die aserbaidschanische Erdölproduktion mit den damaligen Dimensionen so hoch gewesen, dass die großen Ölproduzenten nach Aserbaidschan kamen, um zu arbeiten. Die Gebrüder Nobels beispielweise nahmen ihre Tätigkeit 1870 auf. Die von ihnen gebauten Häuser und anderen Gebäuden stehen da heutzutage.

Anfang des 20. Jahrhunderts weitet Aserbaidschan seine Erdölförderung aus. Nach der Gründung der Sowjetunion bzw. Aufnahme Aserbaidschans in die Sowjetunion diente die ganze aserbaidschanische Ölindustrie der sowjetischen Wirtschaft. Noch sehr interessant für Sie wäre die Tatsache, dass während des Kriegs zwischen der Sowjetunion und Deutschland im zweiten Weltkrieg, während des faschistischen Angriffs gegen die USSR sowie im weiteren Laufe des Kriegs, der eigentlich ein Krieg der Motoren - Panzer und Flugzeuge war, versorgt Aserbaidschan die Sowjetunion mit 70-80 Prozent ihrer Bedürfnisse nach Erdöl und Erdölerzeugnisse.

Viele gehen davon aus, dass ohne aserbaidschanisches Erdöl die Sowjetunion den Sieg nicht gegen den deutschen Faschismus erzielt hätte. Auch erste Erdölölausbeutung im Meer oder zu Wasser hat auch in Aserbaidschan stattgefunden. 1949 ist Jahr der ersten großen Erdölfontäne im Kaspischen Meer. Damals gab es keine der heutigen Erdöltürme im Meer um Großbritannien herum. Es gab auch keine Spuren von der riesig großen Erdölausbeutung der norwegischen Firma "Statoil". Das einzige Problem war darin, dass dieses Erdöl zu der ganzen Sowjetunion gehörte, weil Aserbaidschan Teil derer war. Damals war Aserbaidschan kein unabhängiger Staat. Deswegen wurde das in unserer Republik geförderte Erdöl zu der Ölversorgung der Sowjetunion verbraucht.

Im Moment ist Aserbaidschan ein unabhängiger Staat. Er ist der einzige Besitzer seiner Ressourcen. Aserbaidschan arbeitet mit den internationalen Ölfirmen auf Grundlage des neuen ökonomischen Systems zusammen und will seine Erdölförderung steigern.

Frage: Herr Präsident, keine umweltbezügliche technischen Probleme oder Schwierigkeiten haben westliche Ölfirmen die Erdölausbeutung in Aserbaidschan. Jedoch gibt es Unsicherheit unter den westlichen Ölfirmen, was mit den politischen Risiken verbunden ist. Unter dem politischen Risiko meine ich Interessen etlicher Staaten an Ihrer Region und aserbaidschanischem Erdöl. Wie würden Sie dieser Unruhe der westlichen Firmen entgegenkommen?

Antwort: Im Grunde genommen, riskiert jede Firma einigermaßen, die im Ausland investiert. Aber bedeutende Sache ist die Größe dieses Risikos. Niemand ist von diesem politischen Risiko versichert. Selbst eine Naturkatastrophe kann alles kaputt machen. Stimmt, das hat mit dem politischen Risiko nichts zu tun. Aber überall muss das auch berücksichtigt werden. Was das politische Risiko für die ausländischen Ölfirmen in Aserbaidschan betrifft, ist das sehr gering.

Politisches Risiko ist vor allem mit der sozialpolitischen Lage jedes Landes verbunden. Ich kann mit Nachdruck wiederholen, was ich auf der Konferenz des Adam-Smith-Instituts gesagt habe, dass die innerliche sozialpolitische Situation in Aserbaidschan stabil ist. Sie wird durch unsere Verfassung, die am 12. November verabschiedet wurde, Gesetze, Rechtsnormen sowie durch die Durchsetzung der demokratischen Prinzipien geschützt. Diese sozialpolitische Situation wird gleichzeitig durch die Macht und Kompetenzen der Regierung bewahrt. Bei meinem Auftritt auf der Konferenz habe ich als Präsident alle davon vergewissert, dass man in Aserbaidschan in Sicherheit arbeiten kann. Wir gründen alle notwendigen Gegebenheiten dafür.

Zweifelsohne muss es ein Grund der Unsicherheit sein, dass es zwischen Armenien und Aserbaidschan seit sieben Jahren einen gewaltigen Konflikt gibt. Wir bemühen uns, diesen Konflikt friedlich zu bewältigen. Hoffentlich glaubt auch die Weltgemeinschaft, dass wir in der Lage sind, diesen Konflikt auf friedlichem Wege zu lösen. Im Anschluss an den siebenjährigen Krieg haben wir vor anderthalb Jahren, am 12. Mai 1994 ein Abkommen über den Waffenstillstand, d.h. vorläufigen Frieden abgeschlossen. Dieses Abkommen wurde unmittelbar zwischen Aserbaidschan und Armenien vereinbart. Keiner hat an dem Abschluss des Abkommens als Vermittler teilgenommen. Es ist schon 19 Monate her, dass die Schießereien fehlen und die Einwohner ruhig wohnen. Das motiviert uns, unsere Bemühungen für die friedliche Lösung des Problems zu vermehren.

Demzufolge ist das politische Risiko auch aus diesem Grund sehr gering. Der Staat überwacht zuverlässig alle Bereiche in Aserbaidschan. Das ist genau eine riesige Gewährleistung für die Firmen, die in Aserbaidschan investieren möchten.

Frage: Herr Präsident, was die ausländischen Firmen beunruhigt, ist gar nicht die innere Stabilität Aserbaidschans. Sie sind von dieser Stabilität überzeugt. Sie beunruhigen am meisten Aserbaidschans Beziehungen mit den anderen Ländern. Anders formuliert, viele westliche Firmen wollen wissen, worin das Ziel Russlands auf dem Entwicklungsweg Aserbaidschans besteht, ob Russland die Durchsetzung der Abkommen nicht verhindern wird. Einige sind der Auffassung, dass Russland diese Arbeit stören will, dass es versucht, die Vollziehung der Erdölabkommen zu verhindern. Die anderen denken, dass Russland die Verwirklichung dieser Abkommen wünscht und Aserbaidschan dabei motiviert. Könnten Sie bitte sie kommentieren?

Antwort: Diese Auffassungen sind, wie Sie sehen, durcheinander. Einige sind begründet, einige nicht. Aber die genaue Lage ist so: Die Länder haben untereinander einen Wettbewerb. Ökonomisch starke und große Länder versuchen, die anderen in eigene ökonomische, manchmal sogar politische Einflussnahme einzubeziehen. Das betrifft nicht nur Russland. Als Antwort auf Ihre Frage möchte ich klar machen, dass Russland, erstens, an unseren Erdölabkommen teilnimmt. Nämlich hat stellvertretender Energieminister Russlands auch das Erdölabkommen des letzten Jahres unterzeichnet. Zehn Prozent des im Vertrag vorgesehenen Anteils gehört zu der russischen Firma "LUKoil".

Am 10. November haben wir einen neuen Vertrag abgeschlossen und ein neues Konsortium ins Leben gerufen. Dem Konsortium ist auch Russland beigetreten. Dazu gehören noch amerikanisches "Pennsoil", italienisches "Acip" sowie die Staatliche Erdölfirma der Republik Aserbaidschan. Der russische Anteil in diesem Vertrag ist noch mehr. An der Unterzeichnungszeremonie hat der russische Brennstoff- und Energieminister Herr Juri Schaffranik teilgenommen und er hat diesen Vertrag im Namen Russlands unterschrieben.

Zuletzt, haben wir uns im Oktober für die Durchsetzung des großen Erdölprogramms auf den Bau von zwei Pipelines geeinigt. Eine von denen wird sich im Norden über das russische Gebiet aufs Schwarze Meer ausrichten. Die zweite Pipeline wird in die Richtung des Westens über das georgische Gebiet ins Schwarze Meer liefern.

Die erforderlichen Dokumente und Vereinbarungen über den Bau der Pipeline im Norden, die das russische Gebiet überquert, werden in kommenden Tagen in Moskau in Erscheinung kommen.

Zusammengefasst, sehen Sie, ist Russland Teilnehmer unserer Abkommen. Wir arbeiten mit Russland zusammen. So bin ich gegenüber der Meinung, dass Russland unsere Angelegenheiten stören wird, ganz skeptisch.

Es gibt keine begründete Grundlage für die Unsicherheit der westlichen Firmen sowie für die Annahme Russlands als Gefahr.

Frage: Die Beobachter der Ereignisse in Moskau können offensichtlich die Anwesenheit zwei Komponenten in der russischen Politik merken. Eine von zwei Richtungen ist die Gruppe, die "LUKoil" unterstützt. Die Mitglieder der Gruppe gehen davon aus, dass Russland an der Durchführung und dem Ausbau des Erdölvertragswerks Aserbaidschans teilnehmen und dazu beitragen muss, weil "LUKoil" auch bei diesen Abkommen seinen Anteil hat. Die andere politische Gruppe kommt von der russischen Außenpolitik. Die Vertreter dieser Gruppe gehen von der nationalistischen Stellungnahme aus und wollen die gemeinsame Ausbeutung der aserbaidschanischen Erdölressourcen nicht, sowie versuchen, dies zu verhindern. Wer, Ihres Erachtens, stellt heutzutage das russische Interesse an der Region: Die erste Gruppe, d.h. die Energielobby oder die zweite Gruppe?

Antwort: Erstens es kommt mir vor, dass Ihre Analyse, im Grunde genommen, berechtigt ist. Zweitens gibt es dort wirklich zwei Gruppierungen. Ich möchte nochmals unterstreichen, dass Ihre Analyse und Schlussfolgerungen aussagekräftig sind. Jedoch denke ich, dass gesunder Menschenverstand letztendlich siegen wird. Die ökonomischen Vorteile Russlands werden bevorzugt. Nationalistische und imperialistische Kräfte können uns, denke ich, nicht stören. Es stimmt doch auch, dass sie unserer Arbeit schaden können. Im Generell geht unsere Arbeit voran, indem wir die Schwierigkeiten überwinden. Unsere Arbeit ist nie einen glatten Weg gegangen. Wir müssen ständig Barrieren treffen und wir überschreiten diese Barrieren. Ich hoffe, dass wir auch in dieser Angelegenheit alle Hindernisse beseitigen werden.

Interviewer: Herr Präsident, gestatten Sie bitte, jetzt mit konkreten Fragen über die erste Erdölausfuhr anzufangen. Dieses Thema zieht die Aufmerksamkeit von jedem, der sich mit der Erdölindustrie beschäftigt.

Heydar Aliyev: Bitte schön, ich höre Ihnen gerne zu.

Frage: Es gibt viele Gerüchte über zwei Pipelines bezüglich der ersten Erdölausfuhr. Einige gehen davon aus, dass die Lieferung der Ölpipeline über Georgien trägt zu der Unabhängigkeit Georgiens von Russland bei. Andere denken hingegen, dass gerade Russland diese Pipeline kontrolliert. Welche Auffassung würden Sie vorziehen?

Antwort: Sehen Sie, die Forscher, Ökonomen, Journalisten legen verschiedene Auffassungen vor, die später Fuß fassen können und über die viele Gespräche und Diskussionen durchgeführt werden. Ich würde über solche Meinungen ungern diskutieren. Jeder ökonomische Schritt ist zweifelsohne mit verschiedenen Fragen verbunden. Kurz und knapp kann ich nur sagen, dass der Bau von zwei Pipelines ein gut überlegter Schritt ist. Erstens, entspricht das den ökonomischen Prinzipien. Zweitens löst das auch einige politische Fragen.

Frage: Wo wird die Hauptpipeline liefern, Ihrer Meinung nach? Anders formuliert, gibt es schon vielleicht eine Idee darüber, wo sich die in den nächsten Jahren zu gründende Pipeline befinden wird?

Antwort: Es gibt schon einige Ideen. Sogar internationale Wirtschaftskreise haben dazu eigene Projekte vorbereitet. Alle Projekte haben sowohl eigene Vorteile, als auch Nachteile. Wir werden sie gut auswerten und eine optimale Entscheidung treffen, indem wir alle Prinzipien berücksichtigen. Wir haben noch Zeit, wir müssen überlegen. Schauen wir mal.

Frage: Die Türkei hat einen Anspruch im Bezug auf die erste Erdölausfuhr. Die Türkei gibt bekannt, dass die Erdölausfuhr in großem Maße eine Gefahr für die Umwelt in Bosporus verursachen kann. Wie ist Ihre Stellungnahme Bezug nehmend auf diese Meinung?

Antwort: Falls die Türkei dies anspricht, dann nur zu Recht. Sie sind Besitzer dieser Meerenge. Ich bin mit ihnen vollkommen einverstanden.

Frage: Früher haben wir immer erzählt, dass Aserbaidschan über großes Potential und reiche Bodenschätze verfügt. Wann, meinen Sie, kann Aserbaidschan durch den Verbrauch dieser Bodenschätze reich werden? In fünf Jahren, zehn, fünfzehn oder meinen Sie, dass dieser Prozess noch länger dauern wird?

Frage: Es gibt einerseits den Wunsch, andererseits Möglichkeiten. Ich wünsche, dass Aserbaidschan schon ab nächstem Jahr reich wird. Aber wenn man realistisch ist, klärt man auf, dass wir erstmal noch einige Jahre brauchen, um die Wirtschaftsreformen und Privatisierung durchzuführen sowie die ausländischen Investitionen in Aserbaidschan zu bringen. All diese werden die Wirtschaft vorantreiben, was den Lebensstandard der Bevölkerung erhöhen wird.

Im Energiebereich hat unser Vertrag ein konkretes Programm, d.h. einen konkreten Arbeitsplan. Das "frühe" Öl soll beispielweise Ende 1996 erfolgen. Aber bis Das "frühe" Öl fünf Millionen Tonnen erreicht, brauchen wir noch zwei Jahre. Die große Menge des Erdöls werden wir ca. ab 2000 fördern. Dafür brauchen wir auch eine große Erdölpipeline. Im Laufe all dieser Prozesse wird die ökonomische Lage aserbaidschanischer Bevölkerung allmählich besser sein. Erst nach dem einen realen Ergebnis in der Hand, kann man auch von dem Reichtum sprechen. Ich bin mir aber sicher, dass wir diesen Tag früher erleben werden als geplant.

Interviewer: Verehrter Herr Präsident, ich glaube, ich habe Ihnen schon sehr viel Zeit weggenommen. Ich bedanke mich bei Ihnen.

 
Das Interview wurde von Daniel Litwin durchgeführt.