Aus dem Gespräch zwischen dem aserbaidschanischen Präsidenten Heydar Aliyev und der Delegation, angeführt von dem Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des deutschen Bundestags Hans-Ulrich Klose - 27 April 2000.

Heydar Aliyev: Sehr geehrte Gäste, herzlich willkommen in Aserbaidschan! Ich freue mich, Sie willkommen heißen zu können. Diesen Besuch finde ich sehr wichtig für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschland und Aserbaidschan.

Leider haben unser Land schon seit langem keine Bundestagsmitglieder besucht. Jedoch, einer der Parlamentsabgeordneten - Herr Wimmer – kam früher öfters nach Aserbaidschan. Stimmt das, Herr Botschafter?

Christian Siebeck: Das stimmt, Herr Präsident.

Heydar Aliyev: Aber eine derartige Delegation hat unser Land schon lange nicht besucht. Ich weiß, Sie waren selber sehr beschäftigt - Durchführung der Wahlen, Aufbau der neuen Regierung und des Parlaments. Aber wir wünschen uns, dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Aserbaidschan ständig weiter entwickeln. Es gab eine Zeit, da  diese Beziehungen sehr intensiv gewesen sind. Der deutsche Außenminister Herr Kinkel und andere Parlamentsmitglieder waren hier.

Im Jahre 1996 war ich zu einem offiziellen Besuch in Deutschland und führte sehr wichtige Gespräche. Es fand auch ein Treffen zwischen dem Vorsitzenden unseres Parlaments Murtus Alaskerow und dem des deutschen statt. Das ist aber nicht genügend. Wir wünschen uns, dass diese Treffen öfters stattfinden. Und ich sage es nachdrücklich, dass wir  auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Aserbaidschan besonderen Wert legen. Bitte.

Hans-Ulrich Klose: Herr Präsident, ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen für die freundlichen Worte. Es ist eine große Ehre für uns, dass Sie sich Zeit genommen haben um uns zu empfangen. Ich stimmte Ihren Worten zu. Wir müssen unsere Beziehungen vertiefen. Genau genommen wiederspiegelt unser heutiges Treffen unser Interesse an Aserbaischan.

In den letzten zwei Jahren waren wir mit den Problemen auf dem Balkan und im Kosovo sehr beschäftigt. Leider sind es diese Art von Probleme, die uns noch lange Zeit beschäftigen werden.

Im Gespräch mit unserem Altkanzler Schmidt hat er die Dauer unseres Aufenthalts bzw. die Dauer wie lange wir uns noch mit dieser Frage beschäftigen werden auf ca. 25 Jahre festgesetzt. Das heißt, wir werden uns noch 25 Jahre mit dieser Frage beschäftigen.

Heydar Aliyev: Mit welcher Frage?

Hans-Ulrich Klose: Die Frage, wie lange wir noch auf dem Balkan bleiben, um alle vorhandenen Probleme zu lösen.

Heydar Aliyev: Von welchem Kanzler sprechen Sie?

Hans-Ulrich Klose: Vom ehemaligen Kanzler Herrn Schmidt.

Heydar Aliyev: Herr Schmidt - ja, kenn ich. Hat er sich bereits damals dazu geäußert?

Hans-Ulrich Klose: Nein, er sprach darüber bei unserem Treffen mit ihm vor zehn Tagen.

Heydar Aliyev: Ja, das ist seine Meinung.

Hans-Ulrich Klose: Wenn wir jetzt aus diesen Ereignissen Schlüsse ziehen, so können wir zum Ergebniss kommen, dass es viel besser ist einzugreifen bevor eine Krise ausbricht, als auf sie dann später mit militärischer Gewalt einzuwirken. Und das bedeutet, Politik muss an der ersten Stelle stehen und muss dies alles lösen. Erst wenn eine Entscheidung mit politischen Mitteln nicht möglich ist, sollte die militärische Gewalt zum Zuge kommen.

Zur Zeit herrscht eine Krise in Tschetschenien. Leider können wir da nicht helfen. Wir sind jetzt besorgt darum, dass sich diese Krise weiter südlich ausbreiten kann. In diesem Fall würde noch eine weitaus alamierende Situation entstehen. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, einen Besuch in den Kaukasus abzustatten, obwohl wir uns lange Zeit zurückgehalten und die Angelegenheit nur von der Seite her beobachtet haben. Wir vertreten hier keine wirtschaftlichen Interessen. Das gehört nicht zu den Prioritäten des auswärtigen Ausschusses. Wir wollen nur die Verhältnisse zwischen den kaukasischen Staaten untersuchen und ebenso herausfinden, wie die Beziehungen zwischen den mächtigen Nachbarländern sowohl im Norden wie auch im Süden stehen.

Herr Präsident, zu unserer Delegation gehören die Vertreter von verschiedenen Parteien. Es sind sowohl Vertreter der CDU, SPD als auch der sozialistischen Partei – gegründet anstelle der SED- das heißt, der ehemligen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands...

Heydar Aliyev: Der ehemaligen Kommunistischen Partei?

Hans-Ulrich Klose: Ja. Ihr Vertreter ist ebenfalls Teil der Delegation. Damit wollen wir zeigen, welches großes Interesse alle Parteien an unserer Aussenpolitik haben.

Herr Präsident, Sie sind ein erfahrener Politiker. Und wir möchten Ihre Erfahrung für uns, für unsere Innenpolitik nutzen.

Herr Präsident, zu Ihrer Kenntnisnahme möchte ich erwähnen, dass wir nach Aserbaidschan weiter nach Georgien, Tbilissi fliegen und unsere Gespräche in Armenien, Erewan beenden werden. Bereits vor unserer Reise hierher haben wir in Moskau mit den russischen Politikern über die Region diskutiert. Auch mit den iranischen Politikern haben wir über diese Frage diskutiert. Uns interessiert, was in dieser Region, auf dieser breiten Fläche passiert.

Die Ereignisse in Tschetschenien sind sehr wichtig für uns und wir verfolgen sie mit großer Aufmerksamkeit. Und wir denken, dass das, was dort passiert sehr gefährlich für die Zivilbevölkerung ist. Herr Präsident, unsere Schwachstelle besteht darin, dass wir die politischen Ereignisse nicht richtig einschätzen können. Zuallererst sind wir darum besorgt, dass Russlands Erfolge in Tschetschenien die Akteure dieser militärischen Aktivitäten dazu motivieren könnte sich weiter nach Süden zu bewegen. Dies kann schwere Folgen für die Region verursachen. Bei den Verhandlungen mit unseren russischen Kollegen haben wir es immer wieder betont, dass man das unbedingt vermeiden müsse. Aber im Allgemeinen haben wir keine klaren Vorstellungen von den Interessen Russlands. Und das ist auch der Grund dafür, warum wir heute hier sind.

Heydar Aliyev: Danke. Ich möchte noch mal erwähnen, dass das unabhängige Aserbaidschan besonderen Wert auf die Beziehungen mit Deutschland legt. In allen Bereichen, sowohl im   politischen wie auch im wirtschaftlichen und humanitären. Es ist bekannt, dass Deutschland einer der wirtschaftlich hochentwickelten Staaten der Welt ist und über ein großes und wirtschaftliches Potential verfügt. Deutschland ist mit seiner Bevölkerungszahl und seinem wirtschftlichen Potential der größte Staat in Europa.

Wir wissen auch, dass Deutschland eine sehr wichtige Rolle sowohl in der EU als auch im Europäischen Rat spielt. Und deshalb finden wir Deutschlands Beteiligung an der Lösung der Fragen in Bezug auf den Kaukasus sehr wichtig. Wir haben uns bemüht, Deutschland sogar bei dem armenisch-aserbaidschanischen Konflikt hinzuzuziehen – dessen sind sie sich wahrscheinlich bewusst - um eine friedliche Lösung zu erzielen.

Wie Sie ja wissen, gehört Deutschland zu der von der OZSE zusammengesetzten Minsker-Gruppe. Im Dezember 1996 wurde auf dem in Lissabon stattgefundenen OZSE-Gipfeltreffen eine sehr wichtige Resolution zur Beilegung des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts verabschiedet. Damals wurden auch die Mitgliedsstaaten der OZSE-Minsker Gruppe gewechselt. Russland und Finland übernahmen die Präsidentschaft in der Gruppe. Finnlands Präsidentschaft war dann zu Ende und unser Wunsch war es, dass anstelle von Finnland, Deutschland zusammen mit Russland diese Funktion übernehmen würde.

Der  Botschafter Ihres Landes in der Minsker-Grupp war Lambach. Er war über diese Probleme sehr gut informiert. Er besuchte oft Armenien und Aserbaidschan und wir sahen, dass er eine gerechte Stellung zu dieser Frage vertritt. Selbstverständlich war das nicht seine persönliche Position, er vertrat die Position seines Landes. Deshalb bestanden wir auch auf Deutschlands Präsidentschaft in der Minsker OSZE-Gruppe. Allerdings verliefen da irgendwelche Prozesse. Ich denke, Russland war dagegen und Deutschland lehnte meinen Vorschlag auch ab. Damit will ich sagen, dass wir große Hoffnung und Vertrauen auf Deutschland setzten. Nachdem Deutschland seine Kandidatur zurückgenommen hatte, übernahmen die Präsidentschaft drei Staaten - Russland, USA und Frankreich.

Im November vergangenen Jahres traf ich in Istanbul, auf dem OZSE-Gipfeltreffen, ihren Bundeskanzler Herrn Schröder. Trotz des Zeitmangels gelang uns ein Meinungsaustausch zu diesem Thema. Aber trotz alledem merken wir, dass Deutschland unser Problem im Gegensatz zu früher gleichgültiger behandelt. Und Lambach ist auch nicht mehr da. Er besuchte wenigstens ab und zu die Region – besuchte Armenien, Aserbaidschan. Nun fehlt das auch. Darüber sind wir natürlich unzufrieden.

Sie sagten, dass sie mit den Problemen im Kosovo und auf dem  Balkan beschäftigt sind und die Ereignisse in Tschetschenien ihnen Sorgen bereiten. Ich stimme Ihrer Meinung zu. Diese Probleme sind in der Tat sehr ernst für Europa und die ganze Welt.

Sie sind darum besorgt, dass die russischen Militäreinheiten in Tschetschenien die Menschenrechte verletzten. Ich bin damit einverstanden. Wir sind jedoch über die Tatsache verwundert, dass ihr diese Probleme so ernst behandelt, aber zu dem seit 12 Jahren andauernden armenisch-aserbaidschanischen Konflikt nicht die gleiche Haltung zeigt.

Milosevic führte eine ethnische Säuberung durch im Kosovo. Sie, d.h. die europäischen Länder, waren dagegen. Die USA schlossen sich diesem auch an. Da jedoch eine friedliche Lösung nicht gelang, habt ihr eine beispiellose militärische Operation durchgeführt. Wir haben euer Handeln unterstützt. Genau vor einem Jahr, anlässlich des 50jährigen Jubiläums der NATO in Washington, habe ich dies offiziell verkündet. Da Sie nicht in der Lage waren die ethnischen Säuberungen, ausgeübt mit extremer Grausamkeit, friedlich zu verhindern, haben sie Gewalt angewandt. Natürlich gelang es euch nicht die Lage dort vollständig zu normalisieren, jedoch habt ihr den Prozess in einem gewissen Maße gestoppt.

Allerdings, Armenien zusammen mit den Armeniern von Berg-Karabach begannen bereits seit 1989 mit Agressionen gegen Aserbaidschan. Sie vertrieben alle Aserbaidschaner aus Berg-Karabach, führten eine ethnische Säuberung durch, begingen Völkermord gegen unser Volk und lösten einen Krieg aus. Infolge des geführten Krieges, unter dem Vorwand Berg-Karabach zu schützen, okkupierte Armenien 20% des aserbaidschanischen Gebietes und über eine Mio. Einwohner wurden aus den besetzten Gebieten vertrieben. Viele Menschen kamen dabei ums Leben. Und die vertriebenen Aserbaidschaner leben jetzt schon seit 8 Jahren unter schweren Lebensbedingungen.

Seit dem wir 1994 den Krieg angehalten haben, bemühen wir uns um eine friedliche Lösung. Auch dort sind die Menschenrechte verletzt worden. Und warum nehmen die europöischen Länder keine Stellung dazu? Trotz alledem wollen wir eine friedliche Lösung erzielen. In 1994 unterzeichneten wir ein Abkommen mit Armenien über den Waffenstillstand und wir halten das ein. Wir wollen keinen Krieg mehr, sondern eine friedliche Beilegung des Konflits. Für eine friedliche Lösung muss man einfach nur die internationalen Rechtsnormen beachten, wonach die Grenzen und die Integrität eines jeden Landes unantastbar sind. Die Integrität Aserbaidschans wurde von Armenien verletzt. Wie ich schon sagte, befinden sich 20% der Gebiete Aserbaidschans unter armenischer Besatzung.

In der auf dem Lissaboner OSZE-Gipfeltreffen verabschiedeten Erklärung zur friedlichen Lösung dieses Konflikts heißt es erstens, dass die Integrität Aserbaidschans und Armeniens sichergestellt werden muss. Zweitens, Berg-Karabach muss als Bestandteil Aserbaidschans die höchste Selbstregierung erhalten. Und drittens, die Sicherheit sowohl von Armeniern als auch Aserbaidschanern in Berg-Karabach muss gewährleistet werden.

Wir akzeptieren das, Armenien jedoch nicht. Was will Armenien erreichen? Sie fordern die Unabhängigkeit für Berg-Karabach. Erstens verstößt das gegen die internationalen Rechtsnormen und zweitens können wir das nicht akzeptieren, denn Berg-Karabach ist ein ursprünglicher Teil Aserbaidschans. Bis zum Ausbruch des Konflikts war Berg-Karabach zu 70% von Armeniern und nur zu 30% von Aserbaidschanern bewohnt. Schon in 1989/1990 wurde alle Aserbaidschaner vertrieben. Jetzt leben dort nur Armenier und ihre Zahl ist sehr gering. Es leben jetzt nur noch 60 Tausend Armenier dort.

Wegen dieser sinnlosen Ansprüche gelingt es uns immer noch nicht, eine friedliche Lösung zu erzielen und über eine Mio. Einwohner Aserbaidschans leben heute noch in Zelten. Ich wiederhole, dass wir diesen Konflikt friedlich lösen wollen. Die Bedingungen sind klar. Aber Armenien will diese Bediengungen nicht akzeptieren. In Bezug auf eine friedliche Lösung sind die CO-Vorsitzenden der OSZE-Minsker Gruppe und Armenien sehr passiv.

Mit Blick auf diese Lage und darauf, dass Jahre vergehen und diese Frage ungelöst bleibt entschied ich mich für die Gespräche mit dem armenischen Präsidenten Robert Kotscharjan. Im Jahr 1999 trafen wir uns ein paar mal, darunter zweimal in Genf, also in Europa. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir Kompromisse eingehen müssen.

Diese Gespräche erwiesen sich als erfolgreich. Ich hatte gehofft, dass wir zu einer Einigung kommen. Aber Ende Oktober letzten Jahres ereigneten sich große Terroranschläge in Armenien. Und es kam zur inneren Unstabilität in Armenien. Vor einem Monat ereignete sich auch in Berg-Karabach ein weiterer Terroranschlag. Gegnerische Kräfte griffen nach den Waffen und ihr Führer wurde schwer verwundet. Jetzt befindet er sich in einem Krankenhaus in Jerewan.

Jetzt herrscht Unstabilität sowohl in Armenien als auch in Berg-Karabach. Allerdings warten wir mit Ungeduld darauf, dass die Stabilität wieder hergestellt wird und wir die Verhandlungsprozesse wieder aufnehmen können.

Ich habe Sie kurz über diese Geschichte informiert. Ich sage Ihnen offen, dass Armenien schuld daran ist, dass dieser Konflikt immer noch ungelöst bleibt. Armenien stellt große Ansprüche, aber die OSZE-Minsker Gruppe oder andere Kräfte üben nicht den nötigen Einfluss darauf aus, dass sie von diesen Ansprüchen zurücktreten. Deshalb spreche ich  von ihrer unterschiedlichen Haltung:  auf dem Balkan und in Tschetschenien eine Haltung und hier - im Süd-Kaukasus - eine andere.

Süd-Kaukasus ist eine der wichtigsten Regionen der Welt. Sie ist von großer strategischer Bedeutung.Wenn zwischen drei südkaukasischen Staaten kein Frieden erzielt wird, dann kann es noch schwere Folgen haben. Mit Georgien verfügen wir über sehr gute, freundschaftliche Beziehungen. Aber um den Frieden im Süd-Kaukasus zu gewährleisten muss auch der armenisch-aserbaidschanischer Konflikt gelöst werden.

Wir sind für den Frieden zwischen Aserbaidschan und Armenien. Wir wollen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen wiederhergestellt werden. Dies ist in erster Linie für Armenien vom Vorteil. In Süd-Kaukasus wird der Frieden einziehen. Um das zu erreichen gehen wir auf bestimmte Kompromisse ein. Aber wir können dafür nicht die Interessen unseres Volkes und unseres Landes opfern.

Ich sage das offen und erwähne nachdrücklich, dass solche Staaten wie sie, die Europäische Union sich allen Ländern und Regionen gegenüber gleich verhalten sollten. Süd-Kaukasus gehört auch zu Europa. Heute stehen wir auf der Schwelle zum Beitritt zum Europarat. Seit drei Jahren kandidiert unser Land. Georgien wurde schon aufgenommen. Aber Aserbaidschan und Armenien warten noch.

Warum wollen wir das? Weil wir zu diesem Kontinent gehören und auf Grundlage der europäischen Werte arbeiten wollen.

Sie haben eine Frage gestellt, wollten Informationen über unsere nördlichen und südlichen Nachbarn. Wir führen eine friedliche Politik. Wir bemühen uns um eine gesunde und enge Beziehung mit unserem großen Nachbarn im Norden - Russland. Auch mit dem Iran wollen wir gute Beziehungen. Wir bemühen uns darum. Aber die Beziehungen zwischen Armenien und Russland spielen eine besondere Rolle. Wie kommt das zum Ausdruck? Russland hat eine große Anzahl von militärischen Einheiten in Armenien eingesetzt. Nicht nur weil Russland das will. Armenien will das auch. Russland erhöht von Jahr zu Jahr konsequent seine militärischen Einheiten in Armenien.

In Aserbaidschan gibt es keine Armee, keine Militärbasen Russlands oder eines anderen Landes. Dies ist einer der wichtigsten Faktoren, Beweise unserer Unabhängigkeit. Wir schützen unsere Unabhängigkeit in diesem Bereich. Allerdings ist die Situation in Armenien ganz anders. Armenien hat mit Russland eine Vereinbarung über ein Militärbündnis unterzeichnet.

Wir sind dagegen, dass Russlands Waffen in Armenien immer noch zunehmen. Meine Unzufriedenheit habe ich dem ehemaligen Präsidenten Russlands Boris Jelzin und dem neu gewählten Präsidenten Vladimir Putin geäußert. Aber das hat für sie keine Bedeutung. Auf die Frage, wozu Armenien so eine Armee, so viele Waffen, Raketen, Flugzeuge braucht - war die Antwort, dass sei nicht gegen Aserbaidschan gerichtet sondern gegen die NATO. Ich wundere mich darüber, dass diese militärischen Einheiten zum Schutz Russlands in Armenien lagern, während  Armenien von der NATO weit entfernt liegt.

Hans-Ulrich Klose: Und die Türkei?

Heydar Aliyev: Sie denke, dass die Türkei Armenien angreifen wird?

Hans-Ulrich Klose: Ich denke nicht, dass die Türkei Armenien angreifen wird. Allerdings grenzt sie direkt an Armenien und ist NATO-Mitglied. Die Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei sind nicht auf großer Liebe aufgebaut. Auch die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien immer angespannt waren.

Heydar Aliyev: Ich stimmt Ihnen nicht zu. Wenn Sie der Meinung sind, dass Russland in Armenien so viele Waffen und Militärbasen platzieren muss und es sich nur gegen die NATO, die Türkei richtet - dann ist das Ihre Meinung. Aber ich bin damit nicht einverstanden.

Hans-Ulrich Klose: Das ist nicht meine Meinung. Ich erwähne dies, weil Sie gesagt haben, dass da keine Nachbarschaft besteht. Und ich wollte klarstellen, dass die Türkei - ein NATO-Mitglied - an Armenien grenzt. Ich erkläre nur einfach, das ist nicht meine Meinung. Die Türkei - einer der mächtigsten Staaten – ist NATO-Mitglied und ein wichtiger Partner der USA. Das ist Russlands Meinung. Russland denkt, dass sich die Lage irgendwann wieder verschlimmern kann und die Türkei als NATO-Mitgliedstaat und enger Verbündeter der USA könnte eine Gefahr darstellen.

Heydar Aliyev: Ist die Türkei denn kein Verbündeter von Deutschland?

Hans-Ulrich Klose: Ich möchte nur die Fakten darlegen. Ich gehe immer von den Tatsachen aus, wenn ich irgendeine Frage erörtern will. Ich betrachtete diese Frage aus der Sicht Russlands. Natürlich bewerte ich das nicht. Selbstverständlich sagt Russland, da die Türkei zur NATO gehört und Russland gegen die NATO ist, dies der Grund sei seine Militärbasen dort aufzustellen.

Von Beruf bin ich ein Jurist. Nach einer Tradition aus dem antiken Rom, müssen Rechtsanwälte  auch die zweite Seite hören, bevor sie ein Urteil sprechen.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf eine weitere Frage lenken. Die meisten Philosophen sind deshalb zu Philosophen geworden, weil sie vor allem Skeptiker sind. Ich habe gelernt, dass in der Politik eine Wahrheit nur in Verbindung mit anderen Wahrheiten möglich ist.

Ich will meine Meinung zu Ihrer Unzufriedenheit in Bezug auf die zweierlei Maße äußern. Ich finde Ihre Vorwürfe berechtigt. Das sind wirklich zweierlei Maße. Natürlich passierten in der Welt Massenvernichtungen und andere Ereignisse. Aber die waren weit schlimmer als geschrieben und überliefert.

Zur Entsendung der Truppen in den Kosovo während der blutigen Ereignisse dort, drücke ich meine volle Zustimmung aus und unterstürze das. Aber ich möchte offen sagen, dass meine Haltung dazu zwischen 50,1 und 49,99 Prozent variiert. Wenn eine zweierlei Haltung besteht, so können wir dies nicht leugnen. Dies ist tatsächlich der Fall. Wir können nichts tun, weder in Tibet, in Angola, in Äthiopien noch in Tschetschenien. Und das sind zweierlei Haltungen, denn im Kosovo haben wir diese Funktion erfüllt.

Ich weiss nicht, ob man vor den Journalisten  über alles offen sprechen kann.

Heydar Aliyev: Nun, dann lassen wir die Journalisten gehen.

Zeitung "Aserbaidschan", 28 April 2000.