Brief des Präsidenten der Republik Aserbaidschan, Heydar Aliyev, an den Präsidenten der Französischen Republik, Seiner Exzellenz Herrn Jacques Chirac - 20. April 1999

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Freund!

Ich möchte meine tiefe Besorgnis bezüglich des Mangelns an Fortschritten bei der Lösung des armenisch-aserbaidschanischen Konfliktes ausdrücken. Die territoriale Integrität von Aserbaidschan bleibt weiterhin eingeschränkt, 20% der aserbaidschanischen Gebiete befindet sich noch unter der Besatzung armenischer Streitkräfte und eine Million aserbaidschanischen Flüchtlinge die gewaltsam aus ihrer Heimat vertriebenen wurden leben seit fünf Jahren in großer Not. Die Resolutionen 822, 853, 874 und 884 des UNO-Sicherheitsrats mit der Forderung des bedingungslosen Abzugs armenischer Streitkräfte aus den besetzten Territorien, wurden nicht erfüllt.

Wie Sie wissen, wurde für die friedliche Lösung des Konflikts im Mai 1992 die Minsker OSZE-Gruppe gegründet und das Mandat einer künftigen Friedenskonferenz bestimmt. Auf der Konferenz wurden Armenien und Aserbaidschan als die Konfliktparteien und die aserbaidschanischen und armenischen Gemeinden von Berg-Karabach  als die Interessenten anerkannt. Trotzdem dauern die im Jahr 1988 begonnene Aggression der Republik Armenien gegen Aserbaidschan immer noch an und es wurden neben der autonomen Region Berg-Karabach noch weitere sieben große Regionen von Aserbaidschan okkupiert.

In den vergangenen sieben Jahren sind großen Anstrengungen unternommen worden um effektive Prozesse für die Verhandlungen im Rahmen der Minsk-Gruppe zu erstellen. Aber aufgrund der destruktiven Position Armeniens wurden die Verhandlungen ständig torpediert und gaben keine positiven Ergebnisse.

Infolge der Bemühungen, die wir für die friedliche Lösung des Konflikts gemacht haben und der Unterstützung der Minsker OSZE-Gruppe wurde  im Mai 1994 ein Waffenstillstand erreicht, der bis heute andauert. Die auf dem OSZE-Gipfeltreffen in Budapest im Dezember 1994 gemacht Entscheidung über die Schaffung von multinationalen internationalen Kräfte, die nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in die Region kommen und Beseitigung der Folgen des Militärkonfliktes sichern sollten, sowie die Beschlüsse des Lissabonner OSZE- Gipfel im Dezember 1996, welche die internationale Rechtsgrundlage für die Konfliktregelung bestimmt haben, können zu den höchstpolitischen Errungenschaften bei der gerechten Regelung des armenisch-aserbaidschanischen Konfliktes gezählt werden. Doch infolge der Obstruktionspolitik der Republik Armenien und der Unfähigkeit der OSZE sie zur Ordnung zu rufen, wurden die Beschlüsse dieser Gipfel nicht erfüllt.

Wie Sie wissen, haben die Co - Vorsitzenden der Minsker OSZE-Gruppe  – Russland, USA und Frankreich - am 1. Juni 1997, basierend auf die Lissabon-Prinzipien der Konfliktlösung, den Entwurf eines umfassenden Abkommens  bestehend aus zwei Teilen - die Beendigung des Konflikts und die Bestimmung des Status von Berg-Karabach – vorgelegt. Während diese Vorschläge der Co - Vorsitzenden von der aserbaidschanischen Seite akzeptiert wurden, hat Armenien diesbezüglich seine Uneinigkeit zum Ausdruck gebracht. Armenien will die territoriale Integrität der Republik Aserbaidschan nicht anerkennen und verweist auf die Unzulässigkeit des Status von Berg-Karabach vor der Einberufung der Minsker Konferenz, lehnt den Vorschlag der Co-Vorsitzenden ab. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Präsidenten Russlands, Frankreichs und der USA am 20. Juni 1997 während des berühmten Treffens in Denver, USA mitgeteilt haben, dass sie diese Beschlüsse unterstützen.

Am 19. September 1997 haben die Co - Vorsitzende der Minsker Gruppe einen neuen, zweiten -nach dem Gipfel von Lissabonn -  Beschluss bekanntgegeben, der die Regelung des Konfliktes etappenweise vorsieht. Gemäß diesem Beschluss soll in der ersten Etappe die Befreiung der sechs besetzten Regionen, mit Ausnahme der Region Lachin die außerhalb der Verwaltungsgrenze des ehemaligen autonomen Gebiets von Berg-Karabach liegt,  die Durchführung der OSZE-Operation die auf die Friedenssicherung gerichtet ist, die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat, sowie der Wiederaufbau des infolge des Krieges um Berg-Karabach zerstörten wichtigen Kommunikationssysteme erfolgen. In der zweiten Etappe sollten sich die Seiten mit der Bestimmung des Status von Berg-Karabach innerhalb der Republik Aserbaidschan und mit seiner Sicherheit beschäftigen.

Am 10. Oktober 1997 haben Aserbaidschan und Armenien, auf Präsidentenebene zweier Länder in Straßburg ihre Zusage gegeben, um den Verhandlungsprozess gemäß dem Beschluss vom 19. September 1997 fortzusetzen. Das hat uns Hoffnung auf eine gerechte Regelung des Konfliktes gegeben. Doch der Rücktritt des armenischen Präsidenten Levon Ter - Petrosjan und die Positionsverschärfung des neuen Präsidenten haben die Möglichkeiten der Fortführung der Verhandlungen auf der gerechten Grundlage zunichte gemacht.

Nach einer längeren Pause haben die Vertreter der Minsker Gruppe  am 9. November 1997 einen dritten Beschluss vorgelegt, mit dem Zweck den Verhandlungsprozess wiederzubeleben. Jedoch hat dieser Vorschlag die aserbaidschanische Seite sehr enttäuscht und nicht ermöglicht, die Verhandlungen fortzusetzen. Dieser Vorschlag stützte sich auf eine in der Welt noch nicht vorhandene Idee des „gemeinsamen Staates\" und war nichts anderes als eine Abweichung von den vorigen Beschlüssen, die bereits von zwei OSZE-Gipfeln verabschiedet.

Laut diesem Beschluss wird Berg-Karabach als staatliche territoriale Struktur in Form einer Republik betrachtet und hat den gleichen Status wie Aserbaidschan im Rahmen des erfundenen \"gemeinsamen Staates\". Gleichzeitig bedeutet  der sogenannte „gemeinsame Staat\" im Rahmen der international anerkannten  Grenzen von Aserbaidschan nicht die territoriale Integrität und Unabhängigkeit.  Diese Tatsache gibt keine Garantie für die Souveränität Aserbaidschans, es verletzt sie sogar.

Ich bin überzeugt, dass die unüberlegten Handlungen der Vermittler zweifellos dem Regelungsprozess einen ernsten Schaden zugefügt und ihn zurückgeworfen haben. Und es erregt unsere Besorgnis vor allem weil, wie wiederholt festgestellt, die Russische Föderation weiterhin der Republik Armenien behilflich ist sich zu bewaffnen. Als klarer Beweis ist die Sendung seitens Russlands - Armenien der MIG-29 Flugzeuge und C-300 Raketen und dem gleich nach der illegalen Waffenauslieferung getätigte  Transfer in Höhe von über einer Milliarde US-Dollars.

Falls die Co - Vorsitzenden  nicht entschlossen genug sind und die führenden Repräsentanten der USA, Russlands und Frankreichs nicht härter durchgreifen werden, so wird es meiner Meinung nach unmöglich sein, eine gerechte Regelung des armenisch-aserbaidschanischen Konfliktes zu erreichen. Die Loyalität zu den drei Prinzipien des Gipfels von Lissabon, für die 53 Staaten abgestimmt haben, ist von großer Bedeutung.

Angesichts all dessen, sehr geehrter Herr Präsident, appelliere ich an Sie als einen der Co-Vorsitzender der Minsker OSZE-Gruppe und bitte Sie, Ihre persönlichen Aktivitäten und die Arbeit des Auswärtigen Amtes in Ihrem Land zu verstärken damit eine baldige Regelung dieses langwierigen Konflikts - der Anlass zu ernsthafter Gefahr für Frieden und Stabilität in Europa ist - auf Grundlage des Lissabonner Gipfel getroffen wird.

Mit freundlichen Grüßen

Heydar Aliyev,

Präsident der Republik Aserbaidschan