Aus dem Gespräch des Präsidenten der Republik Aserbaidschan Heydar Aliyev mit der Delegation der Freundschaftsgruppe «Belgien - Aserbaidschan», des Parlaments des Belgischen Königreiches - den 24. November 2001


Heydar Aliyev: Sehr geehrte Gäste, unsere belgischen Freunde, herzlich willkommen in Aserbaidschan! Ihr Besuch in Aserbaidschan ist ein neuer Schritt, der für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Aserbaidschan und Belgien unternommen wurde. Darüber bin ich sehr glücklich. Ich weiß, dass Sie schon mehrere Treffen hatten. Sehr erfreulich ist die Tatsache, dass Sie sich hier in Aserbaidschan mit den Flüchtlingen, die infolge des armenisch-aserbaidschanischen Konfliktes aus ihren Heimatstädten vertrieben wurden, sowie mit vielen Ministern getroffen haben. Das ist sehr wichtig.

Natürlich haben Sie im Parlament mehrere Treffen gehabt. Aber ich halte ihre Treffen mit unseren Ministern für sehr wichtig. Auf diese Weise haben Sie wahrscheinlich die Möglichkeit gehabt, eine genaue Vorstellung von dem aktuellen Leben und den Realitäten in Aserbaidschan zu bekommen. Ich hoffe, dass Sie diese Eindrücke nicht nur dem Parlament Ihres Landes sondern auch der Öffentlichkeit weitergeben werden, damit Belgien mehr über Aserbaidschan erfährt.  

Bitte schön! Ich höre Ihnen zu.

Maryam Ghajar (die Vorsitzende der interparlamentarischen Freundschaftsgruppe «Belgien-Aserbaidschan»): Herr Präsident, vielen Dank für Ihren Empfang. Zum ersten Mal findet so ein Treffen zwischen den belgischen und aserbaidschanischen Parlamentsgruppen statt. Unsere interparlamentarische Freundschaftsgruppe «Belgien-Aserbaidschan» hat 17 Mitglieder.

Herr Präsident, wie Sie wissen, besteht das belgische Parlament aus 221 Mitgliedern, 17 davon sind  Mitglieder der belgisch-aserbaidschanischen Freundschaftsgruppe. Wir halten Aserbaidschan nicht nur für Belgien als auch für Europa für ein sehr wichtiges Land. Ich glaube, dass Aserbaidschans geopolitische Lage an der Kreuzung der Kulturen, Geschichte die Bedeutung des Landes noch weiter erhöht. Außerdem ist Aserbaidschan die Tür von Europa nach Asien.   

Herr Präsident, wie Sie schon wissen, haben wir während unseres Aufenthalts hier die Menschen, die aus ihren Wohnorten vertrieben und im eigenen Land zu Flüchtlingen wurden, getroffen. Ihre Lage ist natürlich sehr traurig. Bitter ist auch die Besetzung des Berg-Karabach durch die armenischen Angreifer. Wir hoffen, dass die Weltgemeinschaft ihre Bemühungen für die Beilegung dieses Konfliktes verstärkt und dass, das Problem gelöst wird.

Allerdings möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass für die Beilegung solcher Konflikte die persönlichen Beziehungen eine sehr große Rolle spielen. Wir sind sehr zufrieden damit, dass Sie bilaterale Treffen mit dem armenischen Präsidenten führen. Manchmal ersetzen diese inoffiziellen Treffen eine Mehrzahl von Konferenzen und Gipfeltreffen.   

Herr Präsident, eines der wichtigsten Ziele unserer Mission besteht darin, dass wir nicht nur Abgeordneten sondern auch die Vertreter aller Schichten der Gesellschaft treffen und gute Beziehungen aufbauen wollen. Unser Besuch kann als eine diplomatische parlamentarische Mission charakterisiert werden. Wir vertreten auch die Volksdiplomatie und unser Hauptziel ist es, sie über unser Land zu informieren und die Informationen über ihr Land in unserem Land zu verbreiten.

Herr Präsident, ich möchte Ihnen noch einmal unsere Dankbarkeit dafür äußern, dass Sie sich die Zeit für den heutigen Empfang genommen haben. Ich möchte erwähnen, dass der aserbaidschanische Botschafter in Belgien uns bei der Organisation dieses Besuches sehr geholfen hat. Wir sind dank seiner Hilfe hergekommen. 

Heydar Aliyev: Vielen Dank. Ich bin völlig Ihrer Meinung. Sie haben erwähnt, dass Sie gekommen sind, um Aserbaidschan kennenzulernen. Weiterhin haben Sie Ihre Meinung bezüglich der geostrategischen Bedeutung Aserbaidschans in der Region, sowie über seine Bedeutung in anderen Bereichen  geäußert. Leider gab es bis heute in vielen Ländern Europas keine Informationen darüber und es bestand kein Interesse daran. Aber die von Ihnen erwähnte weltweite Bedeutung Aserbaidschans und seine Lage an der Kreuzung der Kulturen sind richtig. Es ist notwendig, dass alle darüber erfahren. Nur dann wird das Interesse an Aserbaidschan und an der Gestaltung der Beziehungen mit ihm wachsen.

Das Ziel Ihres Besuches besteht darin, dass Sie Aserbaidschan kennenlernen und uns mit Belgien näher bekannt machen wollen. Belgien ist ein bekanntes Land mit besonderen Eigenschaften im Zentrum von Europa. Ihr Land verbindet mehrere Gemeinden, die jeweils ihr eigenes Parlament haben. Ebenso gibt es ein Parlament für das gesamte Land. Trotzdem gibt es keinen Widerspruch. Es wird die Sprache der Gemeinschaft angewandt. Die Wirtschaft und die Kultur entwickeln sich. Es ist kein Zufall, dass das Hauptquartier von vielen wichtigen europäischen Organisationen, wie zum Beispiel der NATO und der Europäischen Union, sich in Belgien befindet.

Ich bin mehrmals in ihrem Land gewesen. Ihr ehemaliger Premierminister hatte Aserbaidschan auf meine Einladung hin besucht. Ich weiß nicht, womit er jetzt beschäftigt ist.

Maryam Ghajar: Meinen Sie den Herrn Deane?

Heydar Aliyev: Ja. Ich hatte den Herrn Premierminister während meiner Besuche in Brüssel getroffen. Allerdings waren meine Besuche in Belgien inoffiziell. Sie waren entweder mir der NATO oder mit der EU verbunden. Ich lud ihn nach Aserbaidschan ein. Er hat meine Einladung mit einem offiziellen Besuch nach Aserbaidschan angenommen. Auch er hat mich einige Male zum offiziellen Besuch nach Belgien eingeladen. Leider konnte ich diese Einladungen nicht wahrnehmen.  Somit bestehen gute Beziehungen zwischen den führenden Repräsentanten unserer Staaten. Solche Beziehungen sollen auch zwischen den Nationen aufgebaut werden. Sie haben auf die Volksdiplomatie hingewiesen, was natürlich eine der wichtigsten Fragen ist.

Ich habe es bemerkt, dass Sie über den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt und seinen heutigen Zustand informiert sind. Sie wissen auch über meine Treffen mit dem Präsidenten von Armenien Herrn Kotscharjan. Sie sind davon überzeugt, dass die besten Ergebnisse auf diese Weise erlangt werden können. Ich bin ebenfalls Ihrer Meinung. Andernfalls hätte ich so einem direkten Kontakt nicht zugestimmt. Leider haben die Treffen sowohl mit den Co-Vorsitzenden der Minsker OSZE-Gruppe - Russland, die Vereinigten Staaten und Frankreich - als auch zwischen den Präsidenten bis heute nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht.

Sie leben in einem glücklichen Land. Der Lebensstandard in Ihrem Land ist hoch und die Menschen leben friedlich und gut. Es gibt keine Kriege und Konflikte. Wenn ich mich nicht irre, liegt die Bevölkerungszahl bei 10 Millionen. Auch bei uns ist die Bevölkerungszahl nicht niedrig. Wir haben 8 Millionen Einwohner, aber sehr viele Probleme.  

Natürlich können wir uns nicht mit Belgien gleichstellen. Belgien ist nicht an einem Tag oder einem Monat oder einem Jahr zu dem geworden. Dieses Land verfügt über große historische Traditionen. Insbesondere nach dem 2. Weltkrieg gab es sehr positive Prozesse. Wir sind erst seit 10 Jahren unabhängig. Nach der Verselbständigung führten wir zusätzlich einen Krieg gegen Armenien. Die sozial-politische Situation im Land war sehr angespannt. Das von Ihnen seit Jahrzenten, Jahrhunderten angewandte wirtschaftliche und politische System, die Lösung sozialer Probleme mussten wir erst wieder neu aufbauen und die Probleme beseitigen, da wir 70 Jahre lang in einem sowjetischen, sozialistischen Land gelebt haben. Und Ihnen ist bekannt, dass alle Gesetzte und Ordnungen sich in einem sowjetischen Land von den anderen  unterscheiden.  

Nach dem Erlangen der Unabhängigkeit haben wir erklärt und in der Verfassung verankert, dass wir unseren Staat nach den Prinzipien der Demokratie und der Marktwirtschaft aufbauen werden. Der politische Pluralismus, die Meinungs- und Gewissensfreiheit wurden in unserer Verfassung festgelegt. Aber es ist nicht möglich das alles an einem Tag oder einem Jahr zu verwirklichen, um das Niveau ihres Landes erreichen. Aber leider glaubt man in den europäischen Ländern, dass sobald die Demokratie eingeführt worden ist, es gleich so sein muss wie in Belgien, Luxemburg, Deutschland oder Frankreich. Das ist natürlich eine falsche Vorstellung. Auch  hier gibt es Leute, die noch nicht wirklich viel verstehen was Demokratie bedeutet, die Opposition verteidigen und dennoch in einem gewissen Umfang die gleiche demokratische Ordnung wie in Belgien und Amerika fordern. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben 200 Jahren gebraucht, um diesen Zustand der Demokratie zu erreichen. Wir können nicht in zehn Jahren einen Weg zurücklegen, für den Amerika 200 Jahren gebraucht hat. Wir haben sowohl innere als auch äußere Probleme, die den ganzen Prozess beeinträchtigen.  

Um Fortschritte in dieser Richtung zu machen, sind die engen Beziehungen und die Zusammenarbeit mit den europäischen Ländern wie Ihres sehr wichtig. Wie Ihnen bekannt ist, sind wir Anfang dieses Jahres dem Europäischen Rat beigetreten. Das ist ein positives Ereignis. Allerdings sind wir durch große Prüfungen gegangen. Wir wurden vor harte Bedingungen gestellt, die wir erfüllt haben. Ich glaube, dass es gute Voraussetzungen für die Weiterentwicklung der Demokratie schafft. 

Mit einem Wort - wir brauchen damit jetzt keine Zeit zu verschwenden, weil sowohl Sie als auch wir wissen, dass diese Art von Beziehungen, zum Beispiel Ihr Besuch in Aserbaidschan und die in der Zukunft zu erwartenden Besuche von den aserbaidschanischen Parlamentsmitgliedern in Ihrem Land, zum Nutzen der Annäherung unsrer Länder, insbesondere der Weiterentwicklung von Aserbaidschan sind.    

Sie haben erwähnt, dass 17 von den 200 Abgeordneten in der Freundschaftsgruppe «Belgien-Aserbaidschan» sind. Sie sind unsere guten Freunde und wir müssen diese Gelegenheit nutzen.

Ich möchte mich nochmal für Ihren Besuch bedanken. Ich hoffe, dass Ihr Besuch ein positiver Wandel in der Entwicklung der belgisch-aserbaidschanischen Beziehungen nicht nur auf der Parlamentsebene sondern auch in anderen Bereichen sein wird.

Bevor ich meine Rede beende, möchte ich eines klarstellen. Beim Vorstellen, haben Sie auf Ihre türkische Herkunft hingewiesen. Danach habe ich Ihren Namen und Nachnamen - Maryam Ghajar, erfahren. Wissen Sie wo der Nachname Ghajar Ihren Ursprung hat?

Maryam Ghajar: Ich vermute mal aus Karabach, Aserbaidschan oder?

Heydar Aliyev: Die Wurzeln kommen aus Karabach. Aber die Ghajaren, die Vertreter der Ghajaren Dynastie, waren lange Zeit Shahs in Iran. Aga Mahammad Shah Ghajar. Es wurde ein Buch über die Ghajaren Dynastie geschrieben. Auch in unserem Land gibt es Leute, die dieser Familie angehören. Einer von ihnen ist Mitglied der Nationalen Akademie. Er hat ein bemerkenswertes Buch über alle Dynastien der Ghajaren Familie geschrieben. In diesem Buch gibt es viele Bilder. Die Wurzeln der Familie sind wirklich aus Karabach. Das ist gut, dass Sie darüber Bescheid wissen. Deswegen müssen Sie sich als Abgeordnete noch mehr Mühe geben, damit der Konflikt um Berg-Karabach gelöst wird.

Maryam Ghajar: Herr Präsident, vielen Dank für die Aufklärung. Ehrlich gesagt, haben Sie mich  wegen meines Namens mit einer schweren Aufgabe beauftragt. Ich denke, dass es eine schwere Aufgabe wird. Aber zur gleichen Zeit bin ich stolz darauf, dass meine Wurzeln hier sind. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich nicht gleichgültig gegenüber diesen Fragen bin. Ich möchte Ihnen sagen, dass diese Frage für die ganze türkische Nation nicht gleichgültig ist. Ich werde versuchen, die mir anvertraute Mission zu erfüllen. 

Herr Präsident, ich möchte erwähnen, dass der belgische Staat im Jahr 1831 gegründet wurde. Wie man sieht, dauert der Entwicklungsprozess schon 200 Jahre. Aserbaidschan ist ein junger unabhängiger Staat. Um den Weg der Entwicklung zurückzulegen ist die Unterstützung anderer Staaten erforderlich. Ich gehe davon aus, dass deren Erfahrung ihnen zum Nutzen sein wird. Wir - ich, Herr Jan Remans und Herr Louis Siket neben mir, werden alles Mögliche in diesem Bereich tun. Wir möchten, dass sie unsere fortgeschrittenen Erfahrungen und wir ihre alte Kultur kennenlernen.

Heydar Aliyev: Ich stimme dieser Meinung völlig zu.

(Fotos aus dem Buch «Ghajaren» von Tschingis werden gezeigt.)

Dies sind die Fotos von Ihren Vorfahren.

Maryam Ghajar: Ich bin Ihnen sehr dankbar. Für mich ist dies eine große Ehre.

Heydar Aliyev: Das ist ein bemerkenswertes Buch. Hier sind alle Ihre Vorfahren zu sehen. Wenn Sie genug Zeit haben, treffen Sie das Mitglied unserer Akademie Tschingis Ghajar. Er hat dieses Buch geschrieben und es mir vor einem Monat geschenkt. Ich schenke es Ihnen. So können Sie sowohl das Buch lesen, als auch seinen Autor treffen.

Maryam Ghajar: Es scheint, dass Tschingis Ghajar mich bereits kontaktiert hat. Er will mir dieses Buch schenken. Wenn dieses Exemplar für den Präsidenten vorgesehen ist, behalten Sie es. Mir wird das Buch später geschenkt.

Heydar Aliyev: So, dann haben sie sich bereits kennengelernt. Aber ich kann Ihnen das Buch auch geben.

Maryam Ghajar: Das ist eine große Ehre für mich.

Die Zeitung «Bakinski Rabotschi», den 27. November 2001