Aus dem Gespräch zwischen dem aserbaidschanischen Präsidenten und der Delegation der Venedig-Kommission des Europarats - Den 21. April 1999


Heydar Aliyev: Verehrte Gäste, herzlich willkommen in Aserbaidschan. Ich begrüße Sie und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Tätigkeit in Aserbaidschan.

Das von Ihnen geplante Seminar finden wir sehr hervorragend. Aserbaidschan, der junge demokratische Rechtsstaat, hält die Schaffung und Entwicklung der Demokratie in allen Bereichen unseres Lebens und unserer Staatsbildung für seine hauptsächliche Tätigkeit. Wir arbeiten letzte Jahre mit dem Europarat erfolgreich zusammen und versuchen, bei unseren Tätigkeiten von den Empfehlungen und Ratschlägen des Europarats zu profitieren. Das aserbaidschanische Verfassungsgericht spielt in diesen Angelegenheiten besondere Rolle. Dass ein Seminar zu einem für uns sehr wichtigen Thema auf gemeinsamer Initiative von Ihnen und dem aserbaidschanischen Verfassungsgericht in Aserbaidschan durchgeführt wird, ist von besonderer Bedeutung. Das Thema des Seminars ist wegen einiger Prozesse in der Welt sehr bedeutend, wichtig, interessant sowie hat für Aserbaidschan eine spezielle Tragweite. Wir hoffen, dass Ihr Seminar zur Lösung dieses Problems, also zur gerechten Lösung des Autonomieproblems laut den Völkerrechtsnormen sehr gut beitragen wird. Bitte schön!

Janni Bukkikio: Herr Präsident, ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich in eigenem Namen bzw. im Namen meiner Kollegen dafür, dass Sie uns empfangen haben, indem Sie Ihre werte Zeit verbrauchen. Diese Halle kennen alle und sie ist mir auch vertraut. Denn es hat mir gelungen, in dieser Halle von Ihnen vier Mals empfangen zu werden. Letztes Mal wurde ich im September voriges Jahr verehrt, Sie in dieser Halle zu sehen. Damals war das Verfassungsgericht in Aserbaidschan gerade ins Leben gerufen worden und ich habe an der Gründungs- bzw. Vereidigungszeremonie teilgenommen. Einige Monate danach sind wir wieder in Baku. Wir sind Augenzeuge großer Änderungen in letzter Zeit und des prächtigen Gebäudes des Verfassungsgerichts geworden. Das befasst sich jetzt mit wichtigen Fragen für Aserbaidschan. Sogar dazwischen hat das Verfassungsgericht ernste Entscheidungen getroffen, die von der Weltgemeinschaft hoch geschätzt worden sind. All diese Sachen sind natürlich mit Ihrer Unterstützung in Erscheinung ausgeführt worden.

Wir haben in allen Treffen von uns betont, dass die staatliche Unterstützung für das Verfassungsgericht von großer Bedeutung ist. Das Verfassungsgericht ist Garant der Nachhaltigkeit der Demokratie im Land und Staat. Gleichzeitig ist das Verfassungsgericht soz. das Schaufenster der Entwicklung der Staats-, Landes- oder Gesellschaftsdemokratie. Ich muss hinzufügen, dass die Rechtstätigkeit des Verfassungsgerichts auch im Ausland hoch geschätzt wird und somit das Image Ihres Staates erhöht.

Wie Sie schon gesagt haben, wird unser diesmaliges Treffen der Diskussion hervorragender Fragen, also der Autonomiefrage gewidmet. Ich bin dieser Meinung, weil das Thema wirklich sehr aktuell ist. Wir werden das studieren. Denn heute ist in der Welt solch ein Prozess zu beobachten: die Abtrünnigkeitskraft ist irgendwie sehr heftig. Mit anderen Worten möchte ich den Prozess der Regionalisierung oder die Bevorzugung des Bestrebens auf Autonomie erheben. Als Beispiel kann man die Länder in Europa wie Spanien oder Italien zeigen. Es ist, wie gesagt, sehr aktuelles Thema. Unsere Gegenwart ist doch sehr kompliziert und schwer. Ich kann beispielweise die Ereignisse in Jugoslawien zeigen.

Leider präsentieren sich die Autonomie-Angelegenheiten am meisten nach dem Zustandekommen eines Konfliktes. Deswegen ist das Hauptziel unserer Auseinandersetzung mit diesen Problemen, sie vor dem Ausbruch eines Konfliktes zu verhüten. Insbesondere geht es um territoriale Konflikte. Eine der Hauptaufgaben ist nebst der Verhütung der Konflikte, die Konfliktparteien einander näher zu bringen sowie zwei zustande gekommene globale Probleme miteinander abzustimmen.

Eins von diesen Problemen ist territoriale Sezession und anderes Behaltung territorialer Integrität. Uns wartet die Aufgabe ab, nach den entsprechenden Gesetzen einen besonderen Status zu entwickeln. Die Vorbereitung eines besonderen Status folgt dem Ziel, die Konfliktparteien zu einigen und die Lösung des Konfliktes zu erreichen. Diese Frage ist heute für Jugoslawien auch sehr aktuell.

Die Venedig-Kommission hat vor der Baku-Reise, also Ende letztes Jahres sich mit dem Kosovo-Problem bezüglich des Territoriums auseinandergesetzt und einen Autonomiestatus entwickelt. Aber es ist zu bemerken, dass die Venedig-Kommission weder politisches Gewicht noch politische Rolle besitzt. Deswegen beschäftigt sich die Kontaktgruppe aufgrund des Vorschlags von dem Botschafter Kir mit der Erweiterung und Formulierung seiner Ideen. Danach hat die Venedig-Kommission an den Gesprächen um diesen Konflikt herum sowie an den Verhandlungen in Rambuet in Frankreich teilgenommen. Im Verhandlungsprozess hat die Venedig-Kommission alles Mögliche getan, damit die gemachten Vorschläge verbessert werden, also damit das Problem auf bestem Niveau bewältigt wird. Die diesbezüglichen Bemühungen der Venedig-Kommission haben darin bestanden, auf die eingebrachten Vorschläge aus der Sicht des europäischen Kontinents einzugehen. Infolge des Verhandlungsprozesses haben wir solch einen Autonomiestatus entwickelt, dass er fast von beiden Seiten angenommen würde. Aber zum Unglück hat eine Seite schließlich den abgelehnt.

Europa muss meiner Meinung nach in der Lösung solcher Konflikte bessere Rolle spielen, weil sie Europas Konflikte sind. Sowohl der Europarat als auch die Venedig-Kommission beabsichtigen, an der weiteren Suche nach einer Lösung bei solchen Konflikten näher und aktiver teilzunehmen, denn sie beide beschäftigen sich schon mit diesen Fragen.

Die Venedig-Kommission heißt auch die "Europäische Kommission für Demokratie". Es wäre aber besser, sie aus der Rücksicht auf den Entwicklungsgang der Prozesse die "Europäische Kommission für Frieden durch Demokratie" zu nennen. Denn die Bewältigung dieser Probleme und Konflikte hat einerseits einen politischen Charakter, andererseits aber einen juristischen. Gelingt es, sie auf beiden Seiten zu lösen, wird der Frieden in Europa vollständig wiederhergestellt.

Herr Präsident, ich muss zugestehen, dass Ihre Tätigkeit völlig auf Frieden ausgerichtet ist. Vor kurzem habe ich in der Presse gelesen, dass Ihnen der "Internationale Atatürk Friedenspreis" verliehen wurde. Zu diesem Anlass gratuliere ich Ihnen ganz herzlich.

Bald reisen Sie in die Vereinigten Staaten, um an den 50. Jubiläumsveranstaltungen der NATO teilzunehmen. Ich habe mir durch die Presse erschlossen, dass Sie dort wichtige Verhandlungen haben werden. Dort werden Sie sich besonders für die Lösung des Berg-Karabach-Konflikts sehr bemühen, der Sie soweit beunruhigt.

Herr Präsident, Sie können sicher sein, dass sowohl der Europarat als auch die Venedig-Kommission bereit sind, Sie bei der Lösung dieser schwierigen Aufgabe immer zu unterstützen.

Herr Präsident, gestatten Sie bitte, noch einen Gedanken von mir zu verraten, der eigentlich aus meinem Herzen kommt: Es freut mich, Sie in solch einem guten physischen Zustand zu sehen. Ich wünsche Ihnen eine noch stärkere Gesundheit.

Heydar Aliyev: Vielen Dank! Ich bedanke mich für Ihre angenehmen Worte über Aserbaidschan, insbesondere über das Verfassungsgericht Aserbaidschans. Herzlichen Dank auch für Ihren Glückwunsch bezüglich meiner Erhaltung des "Internationalen Atatürk Friedenspreises".

Die von Ihnen mitgeteilten Informationen bestätigen nochmals meine Meinung, dass das hier von Ihnen durchzuführendes Seminar und andere Geschäfte von Ihnen für die ganze Welt und die Weltgemeinschaft sehr hervorragend sind. Die separatistischen Bestrebungen haben sich letzte Jahre wirklich vermehrt und erweitert. Wir sind Augenzeugen separatistischer Bewegungen in einigen Regionen der Welt bzw. in Europa, einige davon sich zu bewaffneten Konflikte eskaliert haben. Sie wissen, dass wir selbst unter solchen separatistischen Aktivitäten - dem Separatismus in Bergkarabach in Aserbaidschan und dem demzufolge ausgebrochenen Armenien-Aserbaidschan-Konflikt betroffen leiden.

Wir haben den 1988 zwischen Armenien und Aserbaidschan ausgebrochenen Krieg im Mai 1994 gestoppt und ein Abkommen über den Waffenstillstand abgeschlossen. Es ist schon fast fünf Jahre, dass wir uns für die friedliche Lösung des Problems, die Befreiung der okkupierten Gebiete Aserbaidschans und die Wiederherstellung der territorialen Integrität unseres Landes engagieren. Aber armenische Separatisten Bergkarabachs und Armenien besitzen keine normale Position für die friedliche Lösung des Problems.

Es wurde im Dezember 1996 im OSZE-Gipfeltreffen in Lissabon die Prinzipien für die friedliche Lösung des Problems festgestellt. Eins von denen ist die Gewährleistung eines hochrangigen Selbstregierungsstatus für den Bergkarabach im Bestand des aserbaidschanischen Staates. Wir bieten solch einen Status an. Aber Armeniens Seite akzeptiert den nicht, weil sie für Bergkarabach nach wie vor den Unabhängigkeitsstatus fordern.

Wir können dem natürlich nicht zustimmen. Auch die Weltgemeinschaft, Völkerrechtsnormen und die OSZE müssen nicht zustimmen. Denn falls jede abtrünnige Kraft infolge seiner Aktivitäten oder nach dem Zustandekommen eines bewaffneten Konfliktes nach einer Unabhängigkeit bestrebt, dann sollen alle Weltstaaten zusammenbrechen. Z.B. wie Sie sehen, hat das Geschehen in Jugoslawien bzw. in Kosovo einen großen Konflikt verursacht. Dabei kann man weder die jugoslawische Regierung noch die Kosovo-Albaner rechtfertigen. Kosovos Autonomie im Rahmen Jugoslawiens war schon Jahrzehnten lang vorhanden gewesen. Aber die jugoslawische Regierung, also Miloschewitsch hat diese Autonomie zu Unrecht abgeschafft. Infolgedessen ist ein Krieg ausgebrochen und Kosovo will heute keine Autonomie mehr, sondern die Unabhängigkeit.

Selbstverständlich sind wir der Meinung und eigentlich sehen die Völkerrechtsnormen vor, dass territoriale Integrität jedes Landes und Staates unberührt bleiben muss. Aus dieser Sicht unterstützen wir die territoriale Integrität Jugoslawiens. Gleichzeitig protestieren wir aber gegen die ethnische Säuberung in Kosovo durch die jugoslawische Regierung und Miloschewitsch. Das ist unakzeptabel.

Sehen Sie, manchmal sind die Menschen, die schon von Autonomie-Befugnissen profitieren, damit nicht zufrieden und verlangen mehr. Manchmal aber verstoßen die Staaten gegen das Autonomierecht einzelner Völker und verursachen solche brutale Konflikte. Bergkarabachs Autonomie existiert in Aserbaidschan seit 1923. Aber 1988 haben Bergkarabachs Armenier diesen Autonomiestatus abgelehnt und Initiativen ergriffen, damit Bergkarabach entweder die Unabhängigkeit erwirbt oder sich an Armenien anschließt. Das hat zu einem Krieg, einem brutalen Konflikt geführt.

Deswegen schätzen wir Ihre Tätigkeit sehr hoch. Dass Sie infolge dieser Studien und Diskussionen ein Autonomiemodell entwickeln und dies über den Europarat in allen Ländern anwenden, glauben wir, wird zu einer friedlichen Lösung dieser Konflikte beitragen bzw. uns sehr helfen.

Wir haben für die Gewährleistung eines Selbstregierungsstatus für Bergkarabach einige Vorschläge gemacht. Aber die Gegenseite widerspricht, dass diese Zuständigkeiten, die im Rahmen einer Selbstregierung, aber nicht mehr, gewährleistet werden können, angeblich nicht ausreichend wären. Wir würden aus diesem Grund wünschen, dass Sie, also der Europarat, die Grenzen des obersten Status feststellen und sie als Modell für die Weltgemeinschaft, mindestens für die europäischen Staaten darstellen. Wir wünschen, dass solche nützliche Vorschläge infolge Ihrer Studien, Ihres in Baku durchzuführenden Seminars und Ihrer anderen Tätigkeiten zustande kommen. Damit würden Sie uns sehr behilflich sein.

Nicht nur wir, sondern auch der Nachbar Georgien hat diese Probleme. Noch Russland und Moldau. Diese Probleme sind sehr aktueller Natur.

Janni Bukkikio: Herr Präsident, gestatten Sie bitte, mit einer kurzen Replik zu antworten. Während Sie geredet haben, habe ich mir wieder überlegt - über alle von Ihnen angesprochenen Probleme habe ich schon früher vertieft nachgedacht. Also, ich habe über Probleme in Ossetien, Moldau und anderen Orten überlegt. Unsere Schlussfolgerung war, dass man für jeden einzelnen Fall ein separates Autonomiemodell entwickeln muss. Generell ist das möglich. Was das Zustandebringungen eines allgemeinen Modells angeht, ist selbstverständlich kein Modell möglich, das sowohl in Moldau, noch in Bergkarabach, noch in Tschetschenien sowie in Abchasien anzuwenden ist. Das würde sich überhaupt nicht behaupten. Es ist solch ein Fall, dass soz. der Vertreter eines Ortes die spezifische Kleidung dieses Ortes anziehen muss.

Im Grunde genommen, es gibt in der Weltpraxis Modelle territorialer Autonomie. Wie gesagt, besitzen jede von ihnen die Kennzeichen eigenen Ortes. Sie sind in Brasilien, Italien usw. Sie alle sind an konkrete Situationen angepasst.

Herr Präsident, zu der von Ihnen gleich geäußerten Meinung möchte ich verraten, dass wir an den Gesprächen über die Lösung des Kosovo-Konfliktes und an der Vorbereitung eines Autonomiemodells teilgenommen haben. Jetzt stehen wir völlig Ihnen zur Verfügung und wie ich schon gesagt habe, können wir auch an der Entwicklung eines bestimmten Autonomiemodells für Bergkarabach teilnehmen. Wir sind dafür bereit. Ich muss im Voraus sagen, dass die Entwicklung des Status selbstverständlich dem Prinzip der territorialen Integrität Aserbaidschans sowie den Prinzipien der Lissabon-Erklärung entsprechen muss. Wir haben den Status der Autonomierepublik Nachitschewan studiert. Wir sind informiert und, zu Ihrer Information, will sich auch die georgische Regierung an uns wenden, damit wir unsere Stellungnahme zu den Abchasien- und Südossetien-Angelegenheiten fertig stellen und ihr übermitteln. Aus dieser Sicht möchte ich wiederholen, dass wir Ihnen zur Verfügung stehen und sind bereit, alles Mögliche für die Lösung der Konflikte zu tun.

Heydar Aliyev: Herzlichen Dank! Das war genau das, was wir benötigen. Falls Sie bezüglich des Autonomie- oder Selbstverwaltungsstatus einen Vorschlag einbringen können, den wir anwenden sowie womit wir Armenien überzeugen könnten, wäre es ein großes Highlight. Der von Ihnen gemachte Vorschlag könnte vielleicht uns helfen, das Problem mit Armenien zu lösen. Denn Armenien lehnt alles ab, was wir im Bereich der Selbstverwaltung anbieten. Aber falls Sie als die Venedig-Kommission, als Teil des Europarats dies organisieren und sich für dessen Akzeptierung aufgeschlossen äußern würden, wäre es uns sehr behilflich. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Tätigkeit! Vielen Dank!

Die Zeitung "Aserbaidschan", den 22. April 1999.

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